Rückblick 2022

Resilienz im Fokus
Sozialer Aspekt muss mitgedacht werden

Die Sorge um den gesellschaftlichen Zusammenhalt war dem Minister anzumerken. Alexander Schweitzer, in der rheinlandpfälzischen Landesregierung zuständig für die Themen Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung, mahnte auf dem Kongress “Digitale Verwaltung Rheinland-Pfalz” des Behörden Spiegel: “Resilienz ist kein Zukunftsthema mehr.” Angesichts von Ukraine-Krieg, Energiekrise und Sabotage-Anschlägen müssten sich alle auf weitere schlechte Nachrichten einstellen. “Inwieweit die Menschen den Staat als handlungsfähig wahrnehmen, entscheidet darüber, wie sehr sie bereit sind, sich mit der Demokratie insgesamt zu identifizieren”, so der SPD-Politiker und Schirmherr des Kongresses.

Die Überzeugung des Ministers lässt sich dabei folgendermaßen auf den Punkt bringen: Ein handlungsfähiger Staat muss ein digitalisierter Staat sein. Dabei steht für ihn nicht nur die digitale Verwaltung im Fokus. Vielmehr geht es ihm auch um soziale Aspekte: “Wir rennen gegen die Zeit an, beispielsweise beim Thema Demografie”, sagt Schweitzer. Je größer ihm die Herausforderungen erschienen, desto mehr gelange er zu der Überzeugung, dass man die Digitalisierung auf allen Ebenen durchsetzen müsse. “Es gibt kaum noch andere Möglichkeiten, Menschen in ihrer jeweiligen Lebenssituation zu unterstützen und auch zukünftig für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen.” Digitalisierung müsse auch dazu beitragen, das Teilhabeversprechen der Demokratie aufrechtzuerhalten.

Riesennachholbedarf

Trotzdem ist eine effektive Verwaltung für einen handlungsfähigen Staat unerlässlich. Durch die Pandemie hätten viele Bürgerinnen und Bürger die Erfahrung gemacht, dass die Digitalisierung den Alltag präge, erklärt Schweitzer. Die Wahrnehmung sei allzu oft, dass der Staat hier noch nicht so weit sei. “Wir haben einen Riesennachholbedarf und müssen weiter an Tempo zulegen, um die Ansprüche der Bürger zu erfüllen.”

Auch der Staatssekretär und CIO des Landes Rheinland-Pfalz, Fedor Ruhose, ist der Ansicht, dass der Staat durch digitale Verwaltung resilienter werde. “Durch die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen werden Freiräume für die Verwaltung geschaffen, durch die sie sich wieder verstärkt um die wichtigen Anliegen kümmern kann.” Deswegen sei es unter anderem wichtig, dass es nach der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) eine neue Dynamik für eine durchgängige und nutzerorientierte Verwaltungsdigitalisierung gebe. Hierfür müsse unter anderem das Einer-für-Alle-Prinzip weiterentwickelt werden. Daneben brauche es auch eine dauerhafte Finanzierung. Schließlich müsse auch ein Anreizsystem für die Digitalisierung entwickelt werden. “Digitalisierungsdividenden sollen dort verbleiben, wo sie erwirtschaftet werden”, fordert Ruhose. Ebenfalls wird in der Landeshauptstadt Mainz die Meinung vertreten, dass bei der Digitalisierung der soziale Aspekt nicht zu kurz kommen dürfe.

Wie die Mainzer Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU) erläutert, betrachte man in der städtischen Digitalstrategie “mainzDIGITAL” neben den Handlungsfeldern Digitale Verwaltung, Intelligente Infrastruktur, Wirtschaft und Mobilität auch das Handlungsfeld Bildung und Zusammenleben. “Digitale Fähigkeiten müssen so selbstverständlich in der Gesellschaft verankert sein wie Lesen, Schreiben und Rechnen”, sagt Matz. Deswegen setze man an den Mainzer Schulen Digitalscouts ein. Dadurch würden digitale Themen schon dort beleuchtet, erläutert die Wirtschaftsdezernentin. Ein anderes Schulprogramm habe sich speziell mit der IT-Sicherheit befasst. “In dem Moment, wo die Themen bei den Schülern adressiert sind, werden auch die Eltern mit eingebunden”, weiß Matz. Eine digitale Grundbildung erachtet auch Minister Schweitzer als sehr relevant. “Wir müssen auch jene ansprechen, bei denen die Digitalisierung in der Ausbildung noch keine Rolle gespielt hat.” Inzwischen würden rund 400 Digitalbotschafter in ganz Rheinland-Pfalz die Weiterbildungsarbeit in Sachen Digitalisierung unterstützen.

Breitbandausbauweiter forcieren

Damit die Gesellschaft die Vorteile der Digitalisierung nutzen kann, muss schließlich auch für eine passende Infrastruktur gesorgt werden. Aufgrund der Topografie sei der Breitband- Ausbau im Land nicht ganz einfach, beschreibt Schweitzer die Situation. Falls der eigenwirtschaftliche Ausbau nicht funktioniere, müsse auch der Staat eingreifen. Manuela Matz fordert in diesem Zusammenhang, eine Förderung auch für die Bekämpfung von grauen Flecken im städtischen Raum aufzuerlegen. Bisher habe man sich weitestgehend auf den ländlichen Raum fokussiert.

Der Breitbandausbau soll in Rheinland-Pfalz demnächst mit einer weiteren digitalen Antragsplattform unterstützt werden. Bereits zur Verfügung steht das OZG-Breitband-Portal, welches von Rheinland-Pfalz gemeinsam mit Hessen und der Metropolregion Rhein-Neckar (MRN) entwickelt wurde. Im Rahmen des Kongresses startete Minister Schweitzer nun auch das neue Daten-Informations-Portal für den Breitbandausbau. “Auf der neuen Plattform können rheinland-pfälzische Kommunen ihre Anträge auf eine Landesförderung im Rahmen der Graue-Flecken-Förderung künftig auch digital und medienbruchfrei beim Land einreichen”, erklärt Schweitzer in diesem Zusammenhang. Neben der digitalen Antragstellung für Kommunen soll das Portal künftig auch relevante Informationen zur Breitbandversorgung sowie zum Breitbandausbau bereithalten. Dazu gehören etwa die durch das Land initiierten, flächendeckenden Netzdetailplanungen, welche den Kommunen einen Überblick über den geplanten Netzausbau durch die Telekommunikationsunternehmen liefern.

Alexander Schweitzer, der Digitalminister des Landes Rheinland-Pfalz, hält die Digitalisierung für unerlässlich, damit der Staat handlungsfähig bleibt. Foto: BS/Albert

„Durch die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen werden Freiräume für die Verwaltung geschaffen“, erklärte der Landes-CIO, Staatssekretär Fedor Ruhose. Foto: BS/Albert

Es muss noch viel getan werden – Die Zukunft nach dem OZG

Dass es sich bei der Verwaltungsdigitalisierung und der Umsetzung des Onlinezugangsgesetztes (OZG) um eine Daueraufgabe handelt, ist den meisten Experten und Verantwortlichen schon lange klar. Wie der aktuelle Stand der Verwaltungsdigitalisierung ist, was bisher erreicht wurde und wo die Reise in Zukunft hingeht, wurde auf dem Kongress kontrovers diskutiert.

Die Bilanz fällt eher nüchtern aus. “Wir stehen noch ganz am Anfang und müssen noch viel mehr machen“, erklärt Marco Brunzel, Dozent an der Universität Speyer. Für die schleppende Umsetzung gebe es viele Gründe, zwei der größten Hürden seien jedoch die fehlenden Nutzerkompetenzen und niedrige Anwenderzufriedenheit, so Brunzel weiter. Um die Umsetzung voranzutreiben, müsse in diesen Bereichen noch einiges getan werden. Dennoch sieht der Digitalisierungsexperte eine positive Entwicklung. Es gebe jetzt schon mehr Kooperationen zwischen den einzelnen Akteuren. So werde auf Bundes- und Landesebene erfolgreich miteinander kommuniziert und zusammengearbeitet. “Wir müssen uns den Maschinenraum des Föderalismus genau anschauen”, erklärt Brunzel. Dort wo Kooperationen möglich und sinnvoll seien, müssten diese auch eingegangen werden.

Wirtschaft vernachlässigt

Die Verwaltungsdigitalisierung betrifft jedoch nicht nur die Bürgerinnen und Bürger, sondern auch die Wirtschaft. Dr. Christine Brockmann, Vorstand des Arbeitskreises Wirtschaftliche Verwaltung e. V., ist der Meinung, dass bei Diskussionen über die OZG-Umsetzung und der Verwaltungsdigitalisierung ein zu großer Fokus auf die Bürgerinnen und Bürger gelegt wird. Es gebe viel zu wenig Angebote, die sich an die Wirtschaft richteten, so Brockmann. “Die Prozesse wurden für die Wirtschaft nicht zu Ende gedacht.“ Firmen und Wirtschaftsvertreter hätten häufig mit den gleichen Verwaltungsapparaten und -prozessen zu tun, erläutert Brockmann weiter. Es wäre daher von Vorteil, wenn diese Prozesse so einfach wie möglich gehalten würden. Momentan sei die Interaktion zwischen der Wirtschaft und der Verwaltung, aber auch zwischen Verwaltung und Bürgern, immer noch zu analog.

Brockmann sieht in dem Once-Only-Prinzip eine Lösung des Verwaltungsstaus. Mit dieser Herangehensweise soll es möglich sein, dass Unternehmen und Bürger gewisse Nachweise nur noch einmalig erbringen müssen. Diese Nachweise werden dann zwischen den verschiedenen Behörden digital geteilt, damit sie nicht nochmals erbracht werden müssen. Ziel müsse es sein, dass die Verwaltung für alle Beteiligten nicht spürbar sei, so Brockmann.

Eine weitere Gefahr der eher schleppenden Umsetzung des OZG sieht Marcel Boffo vom Referat E-Government, Kooperation mit EU, Bund, Ländern und Kommunen aus dem Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz, darin, dass Deutschland im europaweiten Vergleich abgehängt werden könnte. Viele Nachbarn der Bundesrepublik würden schon seit einiger Zeit Konzepte wie das Once-Only-Prinzip erfolgreich anwenden. “Wir können nicht warten, bis wir ein Gesamtkonzept entwickelt haben”, warnt Boffo.