Rückblick 2020

Nutzerzentrierung hat viele Facetten
Die DNA der digitalen Verwaltung liegt in ihren Serviceversprechen

Ob Breitband, elektronische Akte oder Online-Zugang: Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung hat derart viele Gesichter, dass man gelegentlich aus den Augen verlieren kann, an welchem Ende alle Bestrebungen schließlich rauskommen sollen. Ein Selbstzweck ist sie darum längst nicht. In Rheinland-Pfalz erinnern fünf Serviceversprechen daran, in wessen Dienst die digitale Verwaltung von morgen steht: dem der Nutzerinnen und Nutzer. Doch hat User-Zentrierung viele Facetten. Welche das sind und wo man in Sachen Anwenderfreundlichkeit heute steht – das waren die Kernthemen des Online-Kongresses „Digitale Verwaltung Rheinland-Pfalz“.
Bürger- und wirtschaftsorientiert soll sie sein, offen und transparent, vertrauenswürdig und sicher, effizient und leistungsfähig sowie innovativ und nachhaltig: die digitale Verwaltung von morgen. Für Randolf Stich, Staatssekretär im Ministerium des Innern und für Sport (MdI) und Beauftragter für Informationstechnik (CIO), sind die fünf Serviceversprechen, wie sie in der IT-Strategie des Landes formuliert sind, DNA und Ziel jeglicher Digitalisierung in Rheinland-Pfalz. Mit dem Landesgesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung in Rheinland-Pfalz, kurz E-Government-Gesetz, wurden noch im Oktober des Jahres die entsprechenden Weichen gestellt, um die gemachten Versprechen rechtlich zu flankieren.
Fundament ist eine belastbare Infrastruktur. Nach Auffassung des CIOs einer der Gründe, weshalb Rheinland-Pfalz bisher gut durch die Corona-Krise gekommen sei. „Wir profitieren heute davon, dass der Breitbandausbau in Rheinland-Pfalz in den letzten Jahren einen ganz gewaltigen Sprung gemacht hat“, konstatiert Stich. Als man 2011 den Ausbau der digitalen Infrastrukturen durch Förderung angegangen sei, habe die Versorgungsquote von 50 Mbit pro Sekunde bei 27 Prozent gelegen. Heute sei man so weit, dass 90 Prozent der Haushalte ans Netz angeschlossen seien, darunter die Hälfte mit einer Downloadgeschwindigkeit im Gigabit-Bereich. Stand Oktober 2020 konnten so bereits rund 12.500 Kilometer Glasfaser verlegt werden. Tendenz steigend: Aktuell liefen 44 weitere Ausbauprojekte mit einem Finanzvolumen in Höhe von 212 Millionen Euro. Schon im nächsten Jahr werde man sich im Rahmen der Gigabit-Strategie an die Förderung „grauer Flecken“ begeben, um jene Haushalte, die derzeit noch mit 30 Mbit/s surfen, bis 2025 auf Gigabitniveau zu heben.

Kern der Digitalisierung

Zugutekommen sollen die Maßnahmen im Infrastrukturbereich schließlich der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG): dem Kernbereich einer bürgernahen Digitalisierung, wie Stich betont. Auch hier seien die Fortschritte, die man im Corona-Jahr 2020 gemacht habe, beträchtlich gewesen. Die notwendigen Weichen habe man schon 2019 gestellt, als man sich mit den kommunalen Spitzenverbänden auf ein gemeinsames Vorgehen unter Führung eines Lenkungskreises geeinigt habe, dem auch die beiden IT-Dienstleister in Rheinland-Pfalz, LDI und KommWIS, angehören. Gemeinsam habe man viel zuwege gebracht, angefangen mit den Basisdiensten, die bereits im Dezember über die Antrags- und Prozessplattform „civento“ kostenfrei für alle Landes- und Kommunalbehörden zentral angeboten werden sollen. Um den Kommunen bei der Umsetzung unter die Arme zu greifen, stelle man ferner zusätzliche Stellen aus dem Landeshaushalt zur Verfügung. Für den einheitlichen Zugang sorge künftig das bereits in vielen Kommunen erprobte Servicekonto des IT-Dienstleisters KommWIS, das nun auch für das Land adaptiert worden sei. Die aktuelle Entwicklung bestätige, dass man eine Struktur mit klaren Zuständigkeiten gefunden habe, die einen in den Stand setze, das OZG nun zusehends für Bürger erlebbar zu machen.Stellt sich die Frage, ob das auch bei den Bürgern ankommt. Anders als bei der Einführung des elektronischen Personalausweises mitsamt eID-Funktion vor gut zehn Jahren müsse man bei den Leistungen im Rahmen des OZG eine andere Strategie fahren, gibt Wolfram Leibe, seines Zeichens Oberbürgermeister der Stadt Trier, zu bedenken. Für ihn laboriert die Verwaltung nach wie vor an einem Vermittlungsproblem, was sich mitunter darin zeige, dass der Begriff des Marketings bis heute verpönt sei. „Wir müssen lernen, die Produkte, die wir haben, besser zu vermarkten“, appelliert er. In Trier habe man daher auch den Presse- und Öffentlichkeitsbereich um eine Marketingabteilung erweitert. Für Leibe steht fest: Um mit bestehenden Vorurteilen und Bedenken aufzuräumen, müsse der konkrete Nutzen deutlich gemacht werden, der hinter einer digitalen Dienstleistung stehe. Der beste Service bringe nichts, wenn er im Nachgang nicht genutzt werde. Doch reicht Marketing allein nicht aus, wie Leibe betont. Noch wichtiger: der Faktor Vertrauen. Mit Blick auf die Verwaltung von morgen müsse es darum gehen, Ängste und Unsicherheiten zu nehmen, indem man gezielt aufkläre und heute schon die technischen Voraussetzungen für gute und verlässliche Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung schaffe.
Als Teil der Nutzerzentrierung müsse die tatsächliche Nutzung schon jetzt mitbedacht werden, bestätigt Tatiana Herda Muñoz, Senior Consultant bei Partnerschaft Deutschland (PD). Um gezielt jene Bürgerinnen und Bürger zu erreichen, die als Multiplikatoren oder Influencer in die Gesellschaft hineinwirkten, brauche es einen Strategiewechsel in der Außenkommunikation, speziell der Adressierung. Den Umstand berücksichtigend, dass Worte Realität formten, brauche es eine neue Sprache für den Öffentlichen Dienst, mit der auch digitalaffine Bürger auf Social Media erreicht werden könnten. Bislang sehe es jedoch noch so aus, dass der Faktor Kommunikation als Teil der sogenannten Soft Skills unterschätzt werde.
Das gelte nicht zuletzt für den Austausch nach innen. Zwar seien digitalpolitische Maßnahmen wie das OZG primär Front-End- bzw. bürgerorientiert, doch auch Verwaltungsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter seien Nutzer des Serviceportfolios. Umso wichtiger sei es, auch das Backoffice mitzunehmen, selbst wenn der Prozess bis hin zum digitalen Mindset Zeit und Methodendisziplin verlange. Wichtiger Teil dieser Strategie: Vertrauen und Zuspruch seitens der Führungskräfte, um auch jener Nutzerschaft Rechnung zu tragen, die maßgeblich für den Erfolg der digitalen Verwaltung von morgen verantwortlich ist.

Nah am Nutzer: Für Landes-CIO Randolf Stich hat eine anwenderzentrierte Verwaltung viele Gesichter und muss neben den Bürgern auch die Beschäftigten des öffentlichen Sektors mitnehmen. Hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2019. Foto: BS/Dombrowsky

Vernetzt und mutig ist das neue Credo
Die nächsten Schritte für den digitalen Staat

Wenn die Krise die öffentliche Verwaltung eines gelehrt hat, dann dass die Zögerlichen die Hunde beißen. Nun gilt es, sich ein bisschen gesunde Risikobereitschaft für die Zeit nach der Pandemie zu bewahren. Das und der echte Willen, Dienste, Daten und Infrastrukturen zu vernetzen, wo immer es sinnvoll ist: So lautet das neue Credo für einen modernen und attraktiven digitalen Staat.
Man hört es immer wieder, der Staat sitzt auf einem wahren Datenschatz, der gehoben werden muss. Aber was für ein Schatz ist das genau und was hieße es, ihn zu heben? Eine Antwort lautet: Der Schatz sind Geodaten und ihn zu heben heißt, die an unzähligen Stellen erstellten Informationen einheitlich und nutzerfreundlich bereitstellen. Geodaten zeichnen ein detailliertes und zuverlässiges Bild raumbezogener Gegebenheiten – Topografie, Infrastruktur, Gebäude, Eigentumsverhältnisse, Wetter – und sie sind Grundlage für Bewertungen, Prognosen und Entscheidungen von Verwaltung, Unternehmen, Landwirtschaft und Forschung. Oder wie der Staatssekretär und Amtschef im rheinland-pfälzischen Ministerium des Innern und für Sport, Randolf Stich, es ausdrückt: „Geodaten sind der Rohstoff für die smarte Zukunft.“ Doch was nützt der beste Rohstoff, wenn es an der Verfügbarkeit hapert. Die Idee: Die vielen von verschiedenen Stellen in der Landesverwaltung gesammelten Daten einheitlich mittels eines Basisdienstes nutzerfreundlich an die Frau und den Mann bringen. Die zum großen Teil guten Dienste der verschiedenen Anbieter sollen damit nicht obsolet werden. Vielmehr geht es um Interoperabilität und Harmonisierung durch die Setzung von Standards, wie Dr. Jörg Kurpjuhn, Referatsleiter Geoinformation im Innenministerium, erklärt. Im Rahmen einer Voruntersuchung sind konkrete Anforderungen festgestellt worden. Ein erstes grobes Konzept schlägt den Wechsel zu einer Cloudinfrastruktur und den Betrieb durch einen zentralen Geodatenverbund vor. Nun braucht es grünes Licht für die Umsetzung.
Vernetzung und Standardisierung wünschen sich viele auch im Rahmen der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG). Es sollen nicht nur gesetzliche Pflichten buchstäblich erfüllt werden. Vielmehr soll digitalere Verwaltung auch effizientere und zeitgemäßere Verwaltung heißen. Im Bereich Breitbandausbau versucht man, hier zwei Fliegen mit einem digitalen Dienst zu schlagen.
Die Antragstellung für die Verlegung neuer Leitungen auf öffentlichen Wegen soll deutlich erleichtert und beschleunigt werden. Zudem stehen alle Zeichen auf Nachnutzung. Pilotkommunen für die erste Praxiserprobung liegen in drei Ländern. Weitere haben Interesse an der Übernahme des Dienstes angemeldet. Es geht um den Antrag auf Zustimmung des Wegebaulastträgers nach § 68, Absatz 3 Telekommunikationsgesetz. „Hier erwarten wir in den nächsten Jahren ein hohes Aufkommen“, erklärt Patricia Müllner, Projektleiterin OZG-Umsetzung bei der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH. Gerade dort klagten Kommunen zudem über viele Schleifen, weil die Anträge besonders häufig unvollständig eingingen. Die Federführung für das Digitalisierungslabor Breitbandausbau liegt bei Hessen und Rheinland-Pfalz. An der Umsetzung ist neben der Metropolregion auch die ekom21, IT-Dienstleister Hessens, beteiligt. Die Beteiligten wollen deutlich mehr als ein bloßes Online-Formular. Vielmehr wird der gesamte Prozess von der Antragstellung bis zur Bescheiderstellung digital durchgestaltet. Das System soll nur die relevanten Informationen abfragen, der Bearbeitungsstatus soll jederzeit transparent abgerufen werden können, die Weiterverarbeitung in der Kommune erfolgt ebenfalls digital bis hin zur automatisierten Erstellung des Bescheides. Die Pilotphase mit neun Kommunen aus Rheinland-Pfalz, Hessen und Baden-Württemberg ist bis Ende Januar angesetzt, dann sollen weitere Kommunen folgen.

Digital gleich attraktiv?

Die Beispiele zeigen: Es bewegt sich was in Sachen Verwaltungsdigitalisierung. Nicht nur bei der Technik, sondern auch bei der Organisation und der Herangehensweise an konkrete Herausforderungen. Das ist auch dringend notwendig, will der Öffentliche Dienst in den nächsten Jahren attraktiv für fähige Köpfe bleiben. Schon heute steht der Staat bei gut ausgebildeten MINT-Fachkräften hinter der Wirtschaft zurück. Um den Anschluss nicht zu verlieren, wird immer wieder mehr Flexibilität bei den Gehältern gefordert. Gleichzeitig sollen die Beschäftigten durch mehr Fort- und Weiterbildung qualifiziert auf dem Weg der Digitalisierung mitgenommen werden. „Dabei helfen ggf. Rechtsanpassungen im Beamten- und Tarifrecht“, so Prof. Dr. Margrit Seckelmann. Die Geschäftsführerin des Deutschen Forschungsinstituts für öffentliche Verwaltung in Speyer ist im Rahmen des Projekts Qualifica Digitalis an einem entsprechenden Normenscreening beteiligt.
„Gebraucht wird neben der Technik-Kompetenz aber vor allem mehr Kompetenz in Management, Führung und Organisation“, sagt Michael Mätzig, Geschäftsführer des Städtetages Rheinland-Pfalz. „Diese lassen sich von den langjährig Beschäftigten nicht so einfach durch ein, zwei Weiterbildungsseminare nachliefern.“ Auch hier wird es in Zukunft also auf frisches Blut ankommen – junge Absolventinnen und Absolventen sowie Quereinsteigerinnen und -einsteiger aus der Wirtschaft.
Innenstaatsekretär Stich sieht den Schlüssel vor allem in der Attraktivität des Staates als Dienstleister: „Das Image der Verwaltung ändert sich im Moment. Wenn wir gute Services entwickeln, die die Menschen auch gern nutzen, und wenn wir ein bisschen Werbung für uns machen, dann kommen wir auch als attraktiver Arbeitgeber bei den Bewerbern an.“ Auch im Rahmen der Corona-Krise habe die Verwaltung mit schnell umgesetzten Lösungen eine gute Figur gemacht. Gemeint sind die vielerorts eingeführten Info-Portale oder Chatbots zum Pandemiegeschehen, aber auch die teils in Rekordzeit umgesetzten Antrags- und Fachverfahren für die Corona-Hilfszahlungen.
Möglich machte das der Mut, schnell zu entscheiden und zu handeln, auch wenn nicht immer alle Anforderungen und Folgen vorab bis ins Detail geprüft werden konnten. „Ein bisschen von dieser Denke sollten wir aus der Corona-Zeit mitnehmen“, fordert Philipp Fernis, Staatssekretär im Ministerium der Justiz des Landes Rheinland-Pfalz. Er plädiert für ein gesundes Risikomanagement, das auch mit einer gewissen Fehlertoleranz einhergehen gehen müsse. Soll heißen: Wenn ein Vorhaben offenbar Vorteile, aber keine großen Risiken birgt, „einfach mal ausprobieren“.

Diskutierten, wie die digitale Zukunft des Öffentliche Dienstes aussehen sollte: (im UZS) Randolf Stich, Philipp Fernis, Prof. Dr. Margrit Seckelmann, Michael Mätzig. Screenshot: BS