Rückblick 2019

Rückblick auf den Kongress 2019

Jetzt ist das Land dran
Rheinland-Pfalz greift Kommunen digital unter die Arme

Nachdem die Infrastrukturen in den Zentren und Metropolen des Landes zwar langsam, aber doch stetig heranwachsen, ist nun auch der ländliche Raum dran. Vor allem der Anschluss an leistungsfähiges Internet ist ein zentraler Punkt, um die Kluft zwischen Stadt und Land nicht immer größer werden zu lassen, betont der Staatssekretär und Amtschef im Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz sowie IT-Landesbeauftragte Randolf Stich.

Zwar werde schon seit Langem über einen flächendeckenden Breitbandausbau diskutiert, im großen Maße spürbar sei die Notwendigkeit dafür aber vor allem in Flächenländern wie Rheinland-Pfalz, denn dort lebten laut dem Landes-CIO „zwei Drittel der Bevölkerung im ländlichen Raum. Bei solch einem Wert können die digitalisierten Prozesse in der Verwaltung nur funktionieren, wenn diese Menschen auch in der Lage sind, diese digital mit der entsprechenden Bandbreite zu nutzen.“ Daher habe die Landesverwaltung frühzeitig damit begonnen, bewusst strategische Partnerschaften mit den Landkreisen einzugehen, um den Breitbandausbau in Clustern mit steuern und umsetzen zu können sowie die Kommunen aktiv beim Aufbau der entsprechenden Infrastruktur zu unterstützen: „Wir empfehlen den Landkreisen dabei immer, direkt Glasfaserkabel zu verlegen, denn damit ist man für die Zukunft viel besser gerüstet. Bis 2025 wollen wir überall im Land Glasfaser liegen haben, da macht es nur Sinn, die Kabel bei aktuellen Projekten jetzt schon zu verlegen“, so Stich. Nicht ganz ohne Stolz erklärte der CIO außerdem, dass man den Anteil der Haushalte mit Breitbandanschluss von knapp sieben Prozent zu seinem Amtsantritt nun bereits auf fast 86 Prozent steigern konnte. Um die restlichen knapp 15 Prozent nun auch noch an schnelles Internet zu bringen, stünden die Mittel schon bereit, sodass man das Projekt Glasfaser bis 2025 auf jeden Fall schaffen werde, so der Staatssekretär.

Sicherheit, Nachhaltigkeit – und das allgegenwärtige OZG

Zudem betonte Stich, dass eine digitale Verwaltung mit all ihren Angeboten nur dann nachhaltig funktionieren könne, wenn eine größtmögliche Sicherheit für die Daten der Bürger gegeben sei: „Die IT-Sicherheit im Land ist immer nur so gut wie ihre schwächste Stelle, daher haben wir eine dreiteilige Strategie für das landesweite IT-Sicherheitsmanagement erstellt, um auf möglichst alles vorbereitet zu sein.“ So habe man frühzeitig eine CISO- und eine CERT-Stelle eingerichtet, damit Angriffe auf die Systeme im Land schnell und mit bestmöglicher Expertise beantwortet werden könnten. Zudem habe man als „Rückgrat der IT-Sicherheit für das Land Rheinland-Pfalz“ schon frühzeitig den Landesbetrieb Daten und Information mit einem zentralen Rechenzentrum eingerichtet, welches über ein dreistufiges Firewall-System verfüge und regelmäßig vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auf Hochsicherheit geprüft werde.
Ein besonderes Anliegen ist dem Landes-CIO zudem die Nachhaltigkeit der Systeme: „Wir haben das Thema Green IT schon 2007 in unsere IT-Strategie mit aufgenommen. Gerade Rechenzentren schlucken extrem viel Energie, diese müssen so energieeffizient arbeiten wie möglich. Auf die Nachhaltigkeit achten wir aber auch bei Ausschreibungen für Komponenten, die wir von außen beziehen.“ Neben der allgemeinen Digitalisierung steht wenig überraschend auch in Rheinland-Pfalz die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) ganz oben auf der allgemeinen Agenda. Hier will man die Kommunen mit vielen Projekten entlasten. Um an dieser Stelle sinnvolle Lösungen zu schaffen, die auch im Alltag praktikabel seien, arbeite man eng mit den kommunalen Spitzenverbänden zusammen, um möglichst alle Akteure des Landes mit ins Boot zu holen: „Das OZG ist nur im Verbund zu schaffen, daher haben wir einen Kooperationsvertrag mit den kommunalen Spitzenverbänden abgeschlossen. Das Land stellt in einer zentralen Plattform für die Umsetzung aller Verwaltungsdienstleistungen eine technische Grundlage für die Kommunen zur Verfügung.“ Diese Plattform soll im kommenden Jahr fertiggestellt sein und für die Kommunen kostenfrei nutzbar sein. Ebenfalls kostenfrei für die Kommunen wird auch das E-Rechnungsportal sein, das bis April 2020 online gehen soll. Diese Projekte seien auch nötig, erklärt Stefanie Seiler, Oberbürgermeisterin der Stadt Speyer, denn „wir müssen endlich die interkommunale Zusammenarbeit voranbringen, bevor wir an Vernetzung innerhalb der EU und anderen Staaten denken“. Dafür benötige es eine bundesweite Digitalstrategie, so die Oberbürgermeisterin. Ein Positivbeispiel an dieser Stelle stellt die Metropolregion Rhein-Neckar dar, in der sich insgesamt 15 Landkreise am innerdeutschen Dreiländereck Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen zusammengetan haben: „Das ist Föderalismus pur und damit das funktioniert, braucht es nicht nur vorne rum, sondern vor allem auch hinter den Kulissen eine gute Zusammenarbeit“, erklärt Dr. Christine Brockmann, die Geschäftsführerin der Metropolregion Rhein-Neckar (MRN): „Eine gute und digitale Verwaltung ist heutzutage ein starker Standortfaktor. Dabei ist vor allem die Nutzerorientierung zentral.“ Für eine solche Ausrichtung sind die Kommunen laut Manfred Schnur der beste Ansprechpartner im Föderalismus. Der Landrat des Landkreises Cochem-Zell spricht sich für mehr Gleichberechtigung für die Kommunen aus, „denn in der Kommune weiß man am ehesten, was der Bürger will und braucht, da man täglich mit ihm zusammenarbeiten muss. Deswegen wird auch die OZG-Umsetzung ohne eine Einbindung der Kommunen nicht funktionieren.“ Allerdings brauche es vielerorts einen Kulturwandel, denn wirkliche Cluster gebe es in der Verwaltung noch viel zu selten, so MRN-Chefin Brockmann: „Viele Kommunen werden sich in Zukunft organisatorisch umstellen müssen, denn ohne Cluster- und sonstige Innovationsstrukturen wird es nicht mehr gehen.“

Kommunalgremium kommt

Dass die Kommunen tiefergehend einbezogen werden sollten, hat man inzwischen auch auf höheren Ebenen erkannt. Waren die kommunalen Spitzenverbände bislang die einzigen Kommunalakteure im IT-Planungsrat, aber das nur mit beratender Stimme, soll es künftig ein neues Gremium geben, das sich explizit mit den Bedürfnissen und Chancen des kommunalen Raums befasst, so Dr. Annette Schmidt, Leiterin des Aufbaustabes FITKO: „Wir werden einige Gremien direkt an FITKO angliedern, die in Wechselwirkung mit dem IT-Planungsrat kommunizieren und Ideen sowie Bedenken einbringen können. Darunter ist auch ein Kommunalgremium mit neun Vertretern der Spitzenverbände sowie Vertretern von Vitako und KGSt.“ Um den kommunalen Herausforderungen und Bemühungen im Land Rheinland-Pfalz einen rechtlichen Rahmen zu geben, ist das E-Government-Gesetz dort inzwischen auf dem Weg in die Verabschiedung, so Landes-CIO Stich. Mit diesem habe man zwar lange gewartet, nun sei es aber hochmodern und eine gute Basis für die Projekte im Land sowie die OZG-Umsetzung, die ebenfalls darin geplant und festgeschrieben worden sei. „Das OZG war der große Knall, der Zusammenarbeit zwischen allen Akteuren endgültig alternativlos gemacht hat. Nun müssen wir es nutzen, um für Bürger und Mitarbeiter gleichermaßen ein optimales Nutzererlebnis zu schaffen.“ Dazu gehörten auch vernetzte digitale Register und eine flächendeckende Nutzung des Once-Only-Prinzips: „Im Optimalfall stellen wir dem Bürger für sein Anliegen fertig ausgefüllte digitale Formulare bereit, die dieser nur noch abschicken bzw. unterschreiben muss“, so Stich.

Landes-CIO Staatssekretär Randolf Stich unterstrich in Mainz die besondere Bedeutung einer engen Kooperation von Land und Kommunen in Rheinland-Pfalz.

Die Oberbürgermeisterin von Speyer, Stefanie Seiler (links), forderte eine bundesweite Digitalstrategie.

MRN-Chefin Dr. Christine Brockmann (rechts) sieht einen wesentlichen Erfolgsfaktor einer gelungenen Verwaltungsdigitalisierung in der Schaffung von Cluster- und Innovationsstrukturen. Fotos: BS/Dombrowsky

Hemmfaktor Bürokratie
Ein besserer Breitbandausbau braucht schnellere Förderwege

Glasfaser ist eine unabdingliche Voraussetzung für eine gelungene Digitalisierung. Wo keine leistungsfähige Infrastruktur, da geraten ganze Regionen ins analoge Abseits. Das gilt zumal für die ländlichen Teile der Republik, in denen der Erhalt demografischer und ökonomischer Ressourcen wesentlich von den Chancen des digitalen Wandels abhängt. Kritisch ist nur, dass gerade sie aus Gründen mangelnder Rendite vom Netzausbau oft ausgeschlossen sind. Wo sich die Privatwirtschaft versagt, springen den betroffenen Kommunen Bund und Länder mit Fördermitteln zur Seite. In Rheinland-Pfalz funktioniere das auch gut, könne aber mit entsprechendem Bürokratieabbau nochmals spürbar beschleunigt werden, heißt es aus dem Eifelkreis Bitburg-Prüm.

Beim Breitbandausbau gilt Rheinland-Pfalz als schwieriges Terrain: Weitläufige Flächen paaren sich hier mit einer relativ geringen Bevölkerungsdichte; die teils bergige Landschaft erschwert den Anschluss entlegener Haushalte ungemein. Insgesamt seien die Bedingungen nicht gerade förderlich gewesen, als man sich 2012 an den Ausbau der Breitbandnetzes begeben habe, erklärt Raymond Twiesselmann, Mitarbeiter im Breitband-Kompetenzzentrum (BKZ).

Auf dem Papier ein großer Erfolg

Gemessen an den Widrigkeiten hat man viel erreicht, wie ein Blick in den Statusbericht „Digitale Infrastruktur“ verrät: Mehr als 80 Prozent aller Haushalte in Rheinland-Pfalz verfügen inzwischen über einen Anschluss ans NGA-Netz (Next Generation Access). In Zahlen entspricht das einem Downstream von 50 Mbit. Profiteur des infrastrukturellen Ausbaus sind aber nicht nur die urbanen Zentren des Landes. Auch die ländlichen Regionen verzeichnen mit über 50 Prozentpunkten einen kräftigen Zuwachs. Ferner sieht das Land weitere finanzielle Zuwendungen vor. Um den Umstieg der Netzarchitektur vom derzeitigen FTTC-Standard auf FTTB voranzutreiben, plant man im Zuge der Gigabit-Strategie mit einem Fördervolumen von insgesamt 700 Millionen Euro bis zum Jahr 2025.

In der Realität mitunter ­schleppend

Was sich aus Sicht der Landesregierung wie eine bruchlose Erfolgsgeschichte ausnehmen mag, ist für viele Kommunen eine sich hinziehende Auseinandersetzung mit den Hürden der Bürokratie. So auch für die Verwaltung des Eifelkreises Bitburg-Prüm. Flächenmäßig der größte Landkreis in Rheinland-Pfalz, war er lange Zeit mit 180 unterversorgten Gemeinden das digitale Schlusslicht der Region. Laut Breitbandinvestitionsindex bot er überdies die bundesweit schlechtesten Ausbauvoraussetzungen. Noch ehe die Investitionsprogramme von Bund und Land anliefen, bewarb man sich daher auf andere Fördermittel. Unter anderem auf das EU-Programm „Liaison en­tre actions de développement de l‘economie rurale“, kurz LEADER. Mit ihm habe man es geschafft, sechs Gewerbegebieten einen Anschluss ans Netz zu verschaffen, erklärt Helmut Berscheid, Leiter des Amts für Kreisentwicklung. Dass die umliegenden Haushalte, obwohl nicht weit entfernt, dabei nicht gleich miterfasst wurden, habe ihn schon damals verwundert, fügt er hinzu.
Als sich der Kreistag 2015 für den Ausbau der Breitbandin­frastruktur entschied, erging ein Förderantrag an das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Nachdem dieser noch im selben Jahr genehmigt wurde, erhoffte man sich schnelles Handeln. Was folgte, war ein langwieriger Prozess, der nach Bewilligung mit der Erarbeitung einer Machbarkeitsstudie 2016 begann und sich noch zwei weitere Jahre bis zum symbolischen Spatenstich 2018 hinzog. Noch während der Planungsphase stellt sich he­raus, dass ein Gutteil der Haushalte nicht unter den Schirm des Programms fiel, da bereits eine Versorgung über der veranschlagten Förderschwelle von 30 Mbit vorlag. „Um solche Fälle in Zukunft zu vermeiden, brauchen wir dringend eine Entschlackung der bestehenden Förderregularien. Es müssen einheitliche und verbindliche Standards gesetzt werden, die den Breitbandausbau weiterbringen und nicht behindern“, so Berscheid. Mit Blick auf die anstehende Umstellung auf FTTB, die nach Abschluss der laufenden Projekte frühestens ab 2022 anlaufen soll, kommen solche Warnung vielleicht genau zur rechten Zeit.

Helmut Berscheid vom Landkreis Bitburg-Prüm fordert eine Entschlackung der bestehenden Förderregularien und einheitliche, verbindliche Standards. Foto: BS/Dombrowsky

Einfach mal machen
Wie rheinland-pfälzische Kommunen dem Landsterben digital entgegentreten

Der Verbandsgemeinde Betzdorf-Gebhardshain geht es wie vielen Kommunen des ländlichen Raums in Deutschland: Die Bevölkerung altert, junge Menschen zieht es arbeits- oder studienbedingt in die weitaus attraktiveren Städte. Oftmals ohne Rückkehr. Was folgt, ist ein Teufelskreis, denn nicht selten bedeutet der Verlust an Humankapital auch einen Verlust an wirtschaftlicher Stärke. Um die Attraktivität der eigenen Gemeinden wieder aufzurichten, setzt man im Westerwald auf die Potenziale der Digitalisierung. Mit Apps wie „DorfFunk“ oder „LieferBar“ soll der Nachwuchs in der Region gehalten, die interkommunale Vernetzung verbessert werden. Und das größtenteils auch mit Erfolg, wie es scheint.

In Rheinland-Pfalz gilt diese Verbandsgemeinde als Leuchtturmprojekt der Digitalisierung: In nahezu ganz Betzdorf können Bürger über WLAN auf das Bürgernetz zugreifen, an den Schulen stehen Kindern und Jugendlichen VR-Brillen, Tablets und andere Medien zur Verfügung, Social Media wird geschickt eingesetzt, um örtliche Kulturevents wie „Faszination am Fluss“ aus der Taufe zu heben. Dass die Digitalisierung in Betzdorf-Gebhardshain zügiger als andernorts voranzuschreiten scheint, hat viele Gründe. Einer ist sicherlich, dass die Verbandsgemeinde taktisches Gespür bewies, als sie sich 2012 dazu entschloss, den Breitbandausbau auf eine Faust zu betreiben. Andererseits sind es aber Zuwendungen des Landes, die erst den finanziellen Spielraum für die weitere Experimente geschaffen haben.

Eine von drei Modellverbandsgemeinden

Seit dem Jahr 2015 ist Betzdorf-Gebhardshain eine von insgesamt drei Testregionen in Rheinland-Pfalz. „Digitale Dörfer“, so heißt das Gemeinschaftsprojekt, das auf eine Initiative der Landesregierung und des Fraunhofer-Instituts in Kaiserlautern zurückgeht. Der Name ist sprechend, denn eingerichtet wurde die Kooperation mit dem Ziel, die Vorteile des digitalen Wandels auch für die ländlichen Regionen nutzbar zu machen. Unter Einbezug der Modellregionen arbeiteten Forscher des Instituts knapp zwei Jahre an Strategien, wie digitale Lösungen sinnvoll im ländlichen Raum zu implementieren seien. Herausgekommen sind fünf Portale, die trotz unterschiedlicher Funktionen einen übergreifenden Zweck verfolgen: die bessere Vernetzung des örtlichen Lebens.

Digitale Pilotprojekte

Dahingehend wird erklärlich, dass es sich in erster Linie um Kommunikationsportale handelt, die den interkommunalen Austausch vereinfachen sollen – und das durchaus mit Erfolg, wie Bernd Brato, Bürgermeister der Verbandsgemeinde, bestätigt. Derzeit beteiligten sich rund 700 Teilnehmer am sogenannten „DorfFunk“, einem digitalen Aushang, den Bürger nutzen, um Gesuche einzustellen oder miteinander in Kontakt zu treten. Angegliedert ist der Plattform ein Nachrichtenportal, die „DorfNews“, über das die Bürger der Verbandsgemeinde Informationen über das Dorfgeschehen einholen können. In Zukunft soll mit „LösBar“ noch ein weiteres Tool hinzutreten, das den bereits etablierten „DorfFunk“ um einen Kommunikationskanal erweitert, mit dessen Hilfe die Bürger auf direktem Wege mit der Verwaltung in Kontakt treten können sollen.
Eher wirtschaftlich ausgerichtet ist die Portalpaarung aus „BestellBar“ und „LieferBar“. Ist erstere ein digitaler Marktplatz, auf dem ansässige Unternehmer ihre Ware einstellen und zum Verkauf anbieten, liegt der Schwerpunkt von zweiterem bei Fragen der Zustellungen. Obwohl sich der Vergleich aufdränge, sei „BestellBar“ dennoch kein pfälzisches Pendant zur US-Marke Amazon, betont Brato. Ziel sei es eher gewesen, der regionalen Unternehmerschaft im digitalen Raum weitere Märkte zu erschließen. Mehr noch: Da „LieferBar“, die distributive Seite, allein auf freiwilliger Basis von Bürgern betrieben werde, habe man auch das Wir-Gefühl in der Gemeinde stärken wollen.

Das Gehirn der Digitalisierung ist analog

Kurios ist bei alldem, dass die Digitalisierung der Gemeinde von einem analogen Ort aus betrieben wird. Im „Living Lab“, einem offenen Innovations-Ökosystem, treffen sich Entscheider, Unternehmer und Bürger, um an den technischen Neuerungen der Gegenwart teilzuhaben, sich fortzubilden oder eigene Vorhaben für die digitale Gestaltung der Heimat einzubringen. Der Leitgedanke hinter dem Projekt sei ein partizipativer gewesen, so Bürgermeister Bernd Brato, und das in gleich doppelter Hinsicht. Im „Living Lab“ habe man eine Begegnungsstätte schaffen wollen, um die Akteure der Region zu vernetzen; von zentraler Bedeutung sei es dabei gewesen, den Bürger aktiv in alle Prozesse einzubinden. „Die Digitalisierung gehört in Bürgerhand“, erklärt Brato, „Dafür brauchen wir zweierlei: Zum einen muss die Einführung digitaler Lösungen als sinnstiftend empfunden werden; wir brauchen einen konkreten Nutzen. Zum anderen müssen Hemmungen abgebaut werden, bei Angelegenheiten auf die Verwaltung zuzugehen. Wo beides zusammenfindet, sind wir auf einem guten Weg.“

Noch braucht es Geduld und Überzeugungskraft

Hingegen stößt nicht alles, was an digitalen Maßnahmen durchgesetzt wurde, auf positive Resonanz. Auch nicht im Leuchtturmprojekt Betzdorf-Gebhardshain. So fiel das Interesse der ansässigen Unternehmerschaft, den Online-Marktplatz „BestellBar“ als ökonomische Plattform urbar zu machen, vergleichsweise gering aus. Solange die gängigen Praktiken und Modelle noch funktionierten, sehe man vielerorts noch keinen Handlungsdruck, sich den neuen Technologien anzupassen, begründet der Bürgermeister die Zurückhaltung. Zwar sei inzwischen ein leichter Aufwind zu verspüren, zumal beim produzierenden Gewerbe, dem man die Vorteile des 3D-Drucks nähergebracht habe, zulegen müsse der Beteiligungswille aber trotzdem. Andernfalls würde eine große Chance vertan, so Brato.

Es gibt Risiken der Digitalisierung

Die Testregion Betzdorf-Gebhardshain ist ein Muster der Digitalisierung. Ein Muster in zweierlei Hinsicht. Einmal führt sie beispielhaft vor, wie digitale Mittel auf dem Land sinnvoll und mit einem gewissen Mehrwert einzubringen sind. Andererseits zeigt sie aber auch die spekulativen Risiken auf, die mit derartigen Strategien verflochten sind. Man nehme nur den Fall, dass sich ein Projekt nicht refinanzieren lässt, weil die örtliche Unternehmer- oder Bürgerschaft keinerlei Interesse bekundet. Der finanzielle Verlust wäre beträchtlich und für viele Kommunen nur schwer zu kompensieren.
Denn in erster Linie fehlt es nach wie vor an den monetären Mitteln – ein Befund, der sich mit den Erfahrungen vieler anderer Kommunen deckt, nicht nur im Westerwald. In der Tat, die finanziellen Spielräume sind eng, die Ressourcen begrenzt. Darin sind sich die Kommunen in Rheinland-Pfalz einig. Hinzu treten Bedenken, was wird, wenn das staatliche Sponsoring aussetzt. Zwar gibt es einige Projekte, die sich in absehbarer Zeit amortisieren werden, das Betzdorfer Breitband zum Beispiel, das Gros bleibt aber auf Fremdfinanzierung angewiesen. Einig sind sich die Kommunen denn auch darin, dass nur kooperative Lösungen infrage kommen, um etwaige Mehrkosten kleinzuhalten. Wesentlich sei bei all dem jedoch, dass man sich nicht entmutigen lassen dürfe, den einmal beschrittenen Weg weiterzugehen, schließt Brato: „Man muss schlicht am Ball bleiben und einfach mal machen.“

Die Verbandsgemeinde Betzdorf-Gebhardshain von Bürgermeister Bernd Brato gehört zu den digitalen Vorreitern in Rheinland-Pfalz. Foto: BS/Dombrowsky

Mit Mensch und Maschine
Zentrale Lösungen und digitale Unterstützung für das OZG

Es ist keine Neuigkeit von Sensationswert mehr, dass die deutsche Verwaltung einen enormen Entwicklungsrückstand im Vergleich zu anderen Ländern in der Europäischen Union bzw. der restlichen Welt hat, wenn es um die digitale Umsetzung von Prozessen und Dienstleistungen geht. Dieses „Debakel für die größte Volkswirtschaft des Kontinents“, wie Marco Brunzel, Bereichsleiter Digitalisierung und E-Government in der Metropolregion Rhein-Neckar es nennt, soll in absehbarer Zeit mit dem Onlinezugangsgesetz (OZG) gelöst werden. Dabei müssen nicht nur Menschen miteinander, sondern auch mit digitalen Helfern gut zusammenarbeiten.

Dass die Digitalisierung von Staat und Verwaltung mit dem OZG inzwischen endlich eine hervorgehobene strategische Bedeutung erlangt hat, ist nicht mehr von der Hand zu weisen: Sie taucht im Koalitionsvertrag und im Nationalen Reformprogramm 2018 auf und ist mit einem Investitionsvolumen von zwei bis drei Milliarden Euro eingepreist. Zudem bringt die Herausforderung OZG eine einmalige Chance für die öffentliche Verwaltung, aus der Not eine Tugend zu machen und nachhaltige Kooperationsgeflechte und -verbünde aufzubauen. Ein Anfang ist hierbei mit der Arbeitsteilung von Bund, Ländern und Kommunen gemacht worden, die entlang vorab definierter Themenfelder und Lebenslagen viele Teams mit verschiedenen Konstellationen und Federführungen für die einzelnen Aufgaben gebildet haben. Aber nicht nur für die Verwaltung bieten sich Möglichkeiten, sondern auch bzw. ganz besonders für den Bürger: „Allein bei der Lebenslage Geburt müssen die Eltern innerhalb von rund sieben Monaten ganze elf Verwaltungsleistungen beantragen. Da gibt es ein riesiges Potenzial zur Vereinfachung der bisherigen Praxis“, so Brunzel. Die erste OZG-Phase der Labore habe bislang gute Ergebnisse gezeigt. Wichtig sei nun für die Zukunft, dass die technische Umsetzung der erarbeiteten Klick-Prototypen hin zu echten Prozessen erfolgreich gelingen könne.

Technik als Freund und Helfer

Um die Deadline bis 2022 zu schaffen, müssen trotz allem Optimismus die technischen Möglichkeiten der heutigen Zeit so gut wie möglich für die Umsetzung der Prozesse nutzbar gemacht und in die Gestaltung des OZG eingebunden werden. Eric Rietzke vom Forschungsprojekt SEMANAS an der Hochschule Trier sieht in Lösungen rund um die Künstliche Intelligenz (KI) ein zentrales Hilfsmittel für die Bearbeitung von Dienstleistungen mit immer gleichen, festen Abläufen. Dabei müsse man zunächst allerdings weg vom Label „KI“, da dies ein Oberbegriff für verschiedene Werkzeuge sei: „KI selbst gibt es so gar nicht. Was es gibt, sind Predictive Analysis, Deep Learning und Machine Learning als Beispiele für Anwendungen unter dem Oberbegriff KI. Für die Verwaltung ist dabei das Machine Learning im Normalfall das Werkzeug der Wahl“, erklärt der Wissenschaftler.
Bei der Arbeit mit solchen Systemen sei es grundsätzlich wichtig, ein tiefgreifendes Vertrauen zwischen Mensch und Maschine aufzubauen: „Die Entscheidungen von digitalen Systemen müssen auf Wissen und Fakten beruhen und mit diesen Parametern erklärbar sein, damit alles nachvollziehbar wird, was der Computer entscheidet.“

Prozessunterstützung für wissensintensive Prozesse

Wenn all diese Voraussetzungen geschaffen sind, können digitale Systeme laut Rietz genutzt werden, um generalisierte Wissenszusammenhänge auf eine solche Art und Weise neu zu kombinieren und auf Fakten anzuwenden, dass daraus neue Zusammenhänge geschlussfolgert werden könnten.
Diese Technik aus dem Bereich der Ontologie soll dabei helfen, eine Prozessunterstützung für wissensintensive Prozesse zu liefern, die bislang häufig ausschließlich von Menschen durchgeführt werden, weil eben jenes Wissen notwendig ist, um sie akkurat umzusetzen. Hier habe die Hochschule Trier gemeinsam mit der dortigen Universität das wissensbasierte KI-System ODD-BP (kurz für „Ontology and Datadriven Business Process Modeling“) erarbeitet, um an dieser Stelle Abhilfe zu schaffen: „Das System ist modular ausbaubar und kann an verschiedene Branchen angepasst werden“, erklärt Rietz: „So könnte das System beispielsweise in Einsatzleitstellen eingesetzt werden, um mithilfe von vorher eingelerntem ärztlichem Know-how strukturiert die wichtigen Fragen zum aktuellen Einsatz zu stellen und daraus eine Empfehlung zu extrahieren, wie dem Patienten am besten geholfen werden kann.“ Mithilfe menschlichen Wissens könnten die digitalen Systeme auf diese Weise auch bei den Fällen unterstützend eingreifen, bei denen bisher der denkende Mensch zwingend in den Prozess involviert sein musste.

Der Digitalisierungsrückstand Deutschlands im internationalen Vergleich ist für Marco Brunzel, Bereichsleiter Digitalisierung und E-Government in der Metropolregion Rhein-Neckar, „ein Debakel für die größte Volkswirtschaft des Kontinents“. Foto: BS/Dombrowsky